Ein theaterpädagogisches Projekt in Zusammenarbeit mit dem Kulturmarkt
Geschichten erfinden, Musik und Theater spielen, Objekte und Kostüme gestalten und die Werke präsentieren: Beim theaterpädagogischen Projekt „Kulturflugi“, das im Kulturmarkt stattfindet, können Mädchen und Jungen ihre Spielfreude und Kreativität ausleben. Sie schwärmen aus ins Quartier (Kreis 3 in Zürich), befragen Passantinnen und Passanten, tragen Informationen zusammen und bringen ihre eigenen Fantasien ein. Begleitet und gefördert werden sie dabei von der Theaterpädagogin Lisa Mamis, einer Gestalterin und einem Musiker. Am Ende der Woche heben sie mit dem gemeinsam kreierten Theaterstück ab und führen ihre Geschichte auf der Strasse, im Quartier und auf der Theaterbühne des Kulturmarkts auf.
Fotos: Jürg Obrist
Überall und irgendwo: Performance-Kunst mit Kindern
„Geschichten erfinden, Musik und Theater spielen, Objekte und Kostüme gestalten und das Erarbeitete in einer Aufführung präsentieren: Mädchen und Jungen schwärmen aus ins Quartier, befragen Passantinnen und Passanten, tragen Informationen zusammen und bringen ihre eigenen Fantasien ein. Am Ende der Woche heben sie mit der gemeinsam kreierten Performance ab und führen ihre Geschichte auf der Strasse, im Quartier und auf der Theaterbühne des Kulturmarkts auf.“ (Eva Eidenbenz, Kulturmarkt)
’In Bezug auf sein Talent, ist das Kind so zu behandeln, wie man den Künstler behandelt’, (Ph. Frank, Zeichnen und Kunstunterricht, 1928.)
Verschiedene Medien der Kunst vereinen und ergänzen sich im “Kulturflugi“-Projekt. Im Vordergrund stehen die Freude und die Lust am Erfinden. Alltagsmaterial und Alltagsgeschichten werden neu interpretiert und eingesetzt. Fantasien und Erlebnisse anderer Menschen bekommen neue Gesichter. Wir wollen die Kinder motivieren das neu zu entdecken, was im Alltag wertlos, unwichtig oder banal erscheinen mag. So dürfen die Kinder einem alten Spaghettisieb neues Leben einflössen, eine vermeintlich alltägliche Gartensehnsucht einer betagten Frau aufblühen lassen oder Musik spielen, mit dem was ihnen in die Hände kommt. Wir erfinden die Welt nicht neu, aber wir unterstützen die Kinder das aufleben zu lassen, was in jedem Kind steckt, nämlich die Lust am Spielen, voller Fantasie und voller Freude, ein Bedürfnis, welches im Alltag oft wenig Platz findet und nicht gekauft werden kann.
Das „Kultuflugi“ ist ein interdisziplinäres, künstlerisches Projekt (Musik, Gestaltung und Theater) mit Kindern, das pädagogische Aspekte beinhaltet. Unsere Vision ist, dass Kinder mit ihrer spielerischen Unbeschwertheit, mit ihrer Fantasie und Ehrlichkeit, die Welt der Erwachsenen zu beflügeln vermögen. Wir verstehen unsere Rollen als kreative Partner der Kinder, welche unterstützend wirken und sich gegenseitig inspirieren lassen.
Theaterspielen fördert die emotionale, kreative und intellektuelle Entwicklung des Menschen. Spontanität, selbständiges Denken, Originalität, sowie körperliche und verbale Ausdrucksmöglichkeiten sind gefragt. Dazu lernen wir Probleme zu lösen und mit Kompromissen umzugehen. Dies fördert Einfühlungsvermgen, sowie Toleranz und wirkt Vorurteilen entgegen. Mit Theaterspielen werden Selbsteinschätzung und Selbstsicherheit deutlich gefördert.
Das künstlerische Schaffen und Gestalten ist ein Prozess, in welchem die Kinder eine Vielfalt von Informationen verarbeiten, mit allen ihren Sinnen wirken dürfen, gesammelte Materialien verarbeiten und aus Alltagsgegenständen neue Geschichten komponieren. Was absurd scheint bringt Spannung, was banal scheint Harmonie. Im Theater wird alles belebt und zu einer Ausstellung, welche ohne ihre Darsteller nicht zum Leben erweckt werden könnte.
Der Klang der Stimme, gefundene und erfundene Instrumente, ein alter Einkaufswagen und andere Töne, welche mit Leidenschaft ins Theatergeschehen einfliessen, Gespieltes unterstreichen und alles ineinander verschmelzen lassen, das ist die Musik im Kulturflugi. Kinder erfahren auch in diesem Teilbereich, dass es die Kreativität ist, welche alles zum Leben erweckt und dass Visionen wahr werden, wenn wir ihnen Glauben und Kraft schenken. Wir brauchen keine teuren Instrumente oder bestehende Liedertexte – wir suchen, improvisieren und „er“-finden! Was nicht „perfekt“ klingt kann eine bestimmte Atmosphäre, die Eigenschaft eines Charakters oder einen anderen Aspekt unserer Geschichte überraschend betonen.
Wir möchten die Kinder in einer Welt unterstützen, welche ihnen nahe liegt; eine Welt, in der sich die Kinder selbständig bewegen können, sich selbst erfinden dürfen und unabhängige Kreativität wächst. Wache Sinne, Sensibilität und Ausdauer sind unabdingbar und all das trainieren wir. Alles was wir tun, kann ein Kind aus eigener Kraft wiederholen und so weiterspinnen, wie es in seine Umgebung passt.
Ein wichtiger Teil unseres Kunstprojektes ist die Verbindung zum Quartier. Bereits am ersten Tag starten wir mit den Interviews, welche die Kinder mit Passanten durchführen. Weil die verschiedenen Interviews überall im Quartier stattfinden, werden nicht nur die Menschen, sondern die ganze Umgebung differenzierter wahrgenommen.
Ein Interview durchzuführen braucht Empathie, Verständnis für unterschiedliche Menschen und vor allem Neugier. Wir befassen uns grundsätzlich mit dem menschlichen Kontakt zwischen diversen Kulturen, Altersstufen, Berufen, etc. Alle Beteiligten gewinnen mehr Verständnis und Einfühlungsverm.gen. Es entsteht ein kunterbunter Austausch von Ideen und Erfahrungen. Dieser Austausch fördert Kreativität, Gemeinschaft und unterstützt soziale Sichtbarkeit im Quartier. Anhand der Antworten der verschiedenen Interviews wird eine Geschichte erfunden, die mit den Kindern gestalterisch, schauspielerisch, choreografisch und musikalisch umgesetzt wird.
Wie ist es möglich, innerhalb von weniger als 4 Tagen, mit vielen Kindern ohne Spielerfahrung eine Vorstellung mit selbstkreierten Kostümen, Requisiten und live Musik auf die Beine zu stellen? Wir haben keine Zeit zu verschwenden. Ob eine Idee „gut“ ist oder nicht, das ist nicht entscheidend. Wir nutzen den Prozess und vertrauen auf die Intuition der Kinder und auf unsere eigene. Spontaneität ist in diesen knappen Tagen echt und kein Schlagwort. Es tauchen Ideen auf, die uns alle überraschen und vorantreiben. Durch diesen Zeitdruck und diese Struktur gewinnen wir eine Freiheit, die unseren kreativen Prozess aufblühen lässt.
Wir alle wachsen zu einem Ensemble zusammen. Während der Proben entstehen Emotionen und auch kritische Momente. Toleranz und Verständnis füreinander werden geübt. Fehler machen gehört dazu. Diese Haltung hilft uns mit Risiko umzugehen und mehr Freude am Prozess zu gewinnen. Wir unterstützen uns gegenseitig und erfahren, dass uns Fehler auf neue, interessante Ideen bringen. So lernen wir mit mehr Sicherheit und Spontanität zu spielen.
Ganz im Sinne der Devise „Theater kann man überall spielen“ finden die Schlussaufführungen genauso im öffentlichen Quartierraum, wie abschliessend im Theatersaal des Kulturmarkts statt. Oft konnten wir eine der befragten Senior*innen als „Gast-MitspielerIn“ gewinnen. Für diesen generationenübergreifenden Austausch wurde unser theaterpädagogisches Projekt bereits zweimal für den Preis der Felix-Rellstab-Stiftung nominiert.
Die Endaufführungen sind der Höhepunkt aus einem kreativen Prozess, welcher für alle, sichtbar oder weniger sichtbar, andauert.
Die entstandene Kulturflugi-Gemeinschaft berührt uns immer wieder von neuem und wir hoffen, dass diese Art der kreativen Arbeitsweise die teilnehmenden Kinder in ihrem Alltag weiter begleitet.
Die Autorinnen:
Lisa Mamis ist dipl. Theaterpädagogin (M.A. New York University), leitet das Musisch-Pädagogische Seminar Metzenthin; und ist Leiterin des „Kulturflugi Projekts“
Nadia Salvador ist dipl. Kindergärtnerin, Künstlerin (BA Fine Art, St Martin’s College London), Kunstkursleiterin und und war langjährige Gestalterin im “Kulturflugi Projekt“